Thema des Monats Oktober 2004

Das Kinder- und Jugendparlament im Bezirk - Ein Erfolgsmodell geht in die zweite Wahlperiode

Die Bezirksverordnetenversammlung diskutiert

Nach einem ersten Jahr aktiver Arbeit wurde am 23. September im Haus der Jugend Charlottenburg bei der konstituierenden Sitzung der zweiten Wahlperiode der neue Vorstand des Kinder- und Jugendparlaments gewählt. Bezirksverordnete ziehen Bilanz und erläutern ihre Haltung zur zukünftigen Zusammenarbeit der BVV mit dem Kinder- und Jugendparlament.

SPD-Fraktion

Das Kinder- und Jugendparlament wurde auf Initiative der SPD-Fraktion geschaffen. In Zeiten knapper Kassen erscheint es immer schwierig, Neues zu schaffen. Wir haben deswegen bewusst ein Zeichen gesetzt, dass die Zusammenlegung der Bezirke auch Chancen eröffnet, neue und andere Wege zu beschreiten. Ganz im Sinne Willy Brandts wollten wir “mehr Demokratie wagen”. Der Antrag der SPD wurde nach langer und ausführlicher Diskussion in der BVV einstimmig angenommen.
In den folgenden Monaten erarbeitete das Bezirksamt zusammen mit dem Jugendhilfeausschuss und dem Bezirksschülerausschuss ein Eckpunktepapier zur konkreten Umsetzung des Projekts. Im Rahmen eines bezirksweiten Jugendforums und zahlreicher Folgeveranstaltungen diskutierten Schülerinnen und Schüler, Erzieherinnen und Erzieher und die Eltern zusammen mit Politik und Verwaltung über das umfassende Vorhaben. Viele waren skeptisch und glaubten nicht an einen Erfolg des Kinder- und Jugendparlaments. Mit unserer Forderung, Vertreterinnen und Vertretern des Kinder- und Jugendparlaments in der BVV Rede- und Antragsrecht zu gewährten, scheiterten wir am hartnäckigen Nein von CDU und FDP. So haben wir als SPD-Fraktion jeden beschlossenen Antrag des Kinder- und Jugendparlaments formal als unseren Antrag eingebracht, damit die Anliegen auf jeden Fall in der BVV beraten werden. Das Spektrum der Anträge reichte von Schließfächern über Bindenautomaten bis zur Einrichtung von Flatrates in den Jugendfreizeitheimen.
Jetzt steht bereits die Wahl des 2. Kinder- und Jugendparlaments an. Fast alle Schulen beteiligen sich inzwischen an den Wahlen, es gibt aber auch Schulleiter, wie z.B. an der Elisabeth-Wegscheider-Oberschule, die dieser Möglichkeit der demokratischen Teilhabe Steine in den Weg gelegt haben – für uns als SPD-Fraktion war und ist das nur wenig nachvollziehbar!
Fréderic Verrycken, Marc Schulte

CDU-Fraktion

Bilanz eines Jahres
Von der Vorbereitungsphase an hat die CDU-Fraktion die Gründung und Arbeit des Kinder- und Jugendparlaments unterstützt und kritisch begleitet. Die Unterstützung war angebracht, da sogar im Jugendbereich der BVV selten die Betroffenen zu Wort kamen. Bedenken haben wir bei der Bezeichnung „Parlament“, die sich nicht einmal die Bezirksverordnetenversammlung rühmen darf.
Daher waren wir, wie alle Kollegen des von den Fraktionen geschaffenen Beirats, überrascht und froh, als auf der ersten Arbeitssitzung der Vorstand in geradezu professioneller Weise seine Aufgaben meisterte und das Plenum tüchtig zuarbeitete.
Im Laufe des Jahres hat dieses Parlament zahlreiche Initiativen entwickelt, die fast alle von unserer Fraktion übernommen wurden; einige wegen ihrer Bedeutung noch in Fraktionsanträgen weiterverfolgt. Dieses Verfahren der Übernahme durch die Fraktionen wollen wir beibehalten, da es der verfassungsrechtlichen Situation entspricht.
Wir gratulieren zum ersten Geburtstag ganz herzlich und wünschen ein noch produktiveres zweites Jahr! Vor allem muss an den Schulen weiter verbreitet werden, dass die Arbeit der Schüler in diesem Gremium weit mehr gilt als sonstiger staatsbürgerlicher Unterricht; somit vom Klassenlehrer mittels Beurlaubung zu ermöglichen wäre.
Albrecht Förschler

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Bündnis 90/Die Grünen Charlottenburg-Wilmersdorf haben tatkräftig und im konstruktiven Dialog mit den jungen Menschen des Bezirks die Gründung und politische Etablierung des Kinder- und Jugendparlaments (KJP) mit forciert!
Gerade für Kinder und Jugendliche gab es lange Zeit wenig Möglichkeiten, mit Politikerinnen und Politikern des Bezirks ins Gespräch zu kommen und auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen.
Nach einem Jahr kommen wir zu dem erfreulichen Ergebnis, dass wir auch in Zukunft weitere spannende und engagierte kommunalpolitische Impulse durch das KJP erwarten können! Bisher sind Beschlüsse zum Beispiel zu Schließfächern, Informationstafeln und Kondomautomaten in Oberschulen in bleibender Erinnerung geblieben.
Ein Wermutstropfen zum Schluss, der gleichzeitig auch Hoffnungswunsch sein soll: Bisher ist die Verzahnung von Kindern und älteren Jugendlichen im KJP nicht ausreichend gelungen. Außerdem tun sich manche Schulen, wie zum Beispiel die Hildegard-Wegscheider-Oberschule, mit einer angemessenen Unterstützung des KJP schwer. Hier sind der Schulstadtrat und die Schulaufsicht gefragt! Dass es zu einem von uns gewünschten Rederecht des KJP in der BVV nicht gereicht hat, lag leider an der destruktiven Haltung von CDU und FDP in dieser Angelegenheit.
Bündnis 90/Die Grünen werden das KJP als eine Möglichkeit mit jungen Menschen in den politischen Dialog zu treten, weiterhin tatkräftig unterstützen!
Stefan Wagner

FDP-Fraktion

Ein Erfolgsmodell? Lässt sich diese Aussage nach einem Jahr schon treffen oder wird nur anfängliche Euphorie und die menschliche Begeisterung für Neues konstatiert? Kontinuität, Verlässlichkeit und Zielsicherheit sind die Maße, an denen der Erfolg dieses Projektes gemessen werden wird.
Folglich geht es nicht darum, den Erfolg zu bewerten, sondern vielmehr um einen Rückblick auf das letzte Jahr. Hervorzuheben sind der Einsatz und das Engagement aller Beteiligten. Besondere Erwähnung verdient das nun schon über drei Jahre hinweg zu verzeichnende Wirken des Bezirksschülerausschusses. Mit Aufbaukraft und Ideenreichtum wurde die Entstehung des KJP gefördert und die Arbeit im vergangenen Jahr durch die selbst gemachten Erfahrungen mit Verwaltung und Politik unterstützt.
Wie bei jedem Neustart war das erste Jahr von Orientierung, Tatendrang und Aktionismus geprägt. Besonders die Protagonisten im Vorstand mussten erst ihre vermittelnde Rolle zwischen Vollversammlung und Bezirkspolitik finden. Sicherlich schossen sie an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinaus, aber die Anliegen, die sie größten Teils transportierten, zeigten doch sehr deutlich, wo Kinder- und Jugendinteressen im Bezirk zu sehen sind.
Diesen Focus gilt es in Zukunft zu schärfen.
Florian P. Block

Fraktionslose Bezirksverordnete (Die Linkspartei.PDS)

Kinder und Jugendliche sind nicht die eigentlichen Politik-Verweigerer; nur erwarten sie von Politik und Politikern deutlich mehr und anderes. Insofern war die Idee, ein Kinder- und Jugendparlament im Bezirk ins Leben zu rufen, eine richtige, und es ist mehr als erfreulich, dass das Kinder- und Jugendparlament in eine zweite Wahlperiode geht. Die rege Beteiligung von jungen Menschen ist ein Zeichen dafür, dass nicht sie (!) die Politikverdrossenen sind. Vielmehr ist es die etablierte Politik bzw. sind es deren Vertreter, die ihnen – oft genug – ihr politisches und soziales Engagement vermiesen.
Mehr als 30 Anträge haben die Jugendlichen bisher in die BVV eingebracht. Vom Tamponautomat bis zum Erhalt der Lernmittelfreiheit wurden eigene politische Akzente gesetzt. Es wurde gestritten, debattiert und es wurden politische Lösungen gefunden. Bei soviel Engagement ist es umso bedauerlicher, dass den Jugendlichen derzeit kein direktes Rederecht eingeräumt wird.
Mitbestimmung ja, aber bitte nicht zuviel? Die demokratischen Rechte von jungen Menschen müssen so weit wie möglich ausgebaut werden: Warum keine Debatte zu den Anträgen der jungen ParlamentarierInnen innerhalb der Bürgerfragestunde?
Kommunal und langfristig auch auf Landes- und Bundesebene wird es darum gehen, das Mindestwahlalter zu senken. Jugendliche sollten nicht jahrelang tatenlos zusehen müssen, wie altgediente Wahlberechtigte – ohne ihre Stimmen – über die Zukunft entscheiden? Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Benjamin Apeloig, Jürgen Hornig