Stolpersteine Duisburger Straße 5

Hausansicht Duisburger Str. 5

Diese Stolpersteine wurden am 23. November 2021 verlegt und von Sabine Gensior, Andreas Haagen und Mitgliedern der “Arbeitsgemeinschaft Gedenken” der SPD gespendet.

Stolperstein Meta Cohn

HIER WOHNTE
META COHN
JG. 1881
DEPORTIERT 9.12.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

In der Duisburger Straße 5 lebten u.a. Meta Cohn, deren Schwester Selma Conitzer, geb. Cohn, Herta Marcus, eine Nichte von Meta Cohn und die Brüder Martin und Siegbert Conitzer, die mit Selma Conitzer verschwägert waren. Wir wissen nicht viel über das Leben der Familienangehörigen, zumal es zum Teil lückenhafte oder widersprüchliche Angaben in den Entschädigungsakten gibt, weil die Aussagen verschiedener Erben in die Akten Eingang gefunden haben. Sicher ist aber, dass sie alle am 17. Mai 1939 (Tag der Volkszählung) in der Duisburger Straße 5, vermutlich sogar gemeinsam in der großen, schönen Wohnung von Meta Cohn gewohnt haben. Auch wissen wir, dass alle im Jahr 1942 in den Tod deportiert wurden, nach Auschwitz und in das Warschauer Ghetto, das ab 1942 nur eine Zwischenstation zu den Gaskammern der Vernichtungslager war.

Meta Cohn wurde am 16. Oktober 1881 in Reichenbach im damaligen Regierungsbezirk Königsberg, Ostpreußen (heute: Województwo Warmińsko-Mazurskie, Woiwodschaft Ermland-Masuren), geboren. Über ihre Vorfahren war ebensowenig herauszufinden wie darüber, wann genau sie nach Berlin kam. Sie war ledig und lebte mit ihrem Bruder Hugo zusammen in der Duisburger Straße 5 in „sehr guten Verhältnissen”, wie den Akten zu entnehmen war. Beide besaßen u.a. Grundstücke, Wertpapiere, eine sehr gut eingerichtete Wohnung mit kostbaren Teppichen und schönem Tafelgeschirr aus Silber und Kristall. Meta besaß zudem Brillantringe, Broschen, Ketten aus Gold und Silber, kostbaren Schmuck also, den sie dann – wie viele jüdischen Menschen, die deportiert werden sollten – an die Städtische Pfandleihanstalt abliefern musste.

Im Januar 1939 starb der Bruder Hugo und Meta war seine Alleinerbin. Sie musste eine hohe „Judenvermögensabgabe” zahlen und alle ihre Wertesachen wurden von den Nationalsozialisten ihrem Zugriff – wie üblich – entzogen. Auch ihre gesamte Wohnungseinrichtung wurde beschlagnahmt und nach ihrer Deportation von der Gestapo versteigert.

Meta Cohn wurde am 1. Juli 1939 zusammen mit ihrer Schwester Selma Conitzer geb. Cohn und ihrer Nichte Herta Marcus zwangsweise aus der Duisburger Straße 5 aus- und in die Güntzelstraße 15 in eine sog. „Judenwohnung” eingewiesen. Von dort aus wurde sie in das von den Nationalsozialisten als „Sammellager” missbrauchte jüdische Altenheim in der Großen Hamburger Straße 26 verbracht. Am 9. Dezember 1942 wurde sie mit dem sog. „24. Osttransport” – zusammen mit weiteren ca. 1000 jüdischen Berlinerinnen und Berlinern – vom Güterbahnhof Moabit in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Recherche und Text: Angelika Kaufel, Monica Schümer-Strucksberg, ergänzt durch Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen: – Landeshauptarchiv Brandenburg, Potsdam -Golm – Landesarchiv Berlin, Eichborndamm – Entschädigungsamt Berlin, Fehrbelliner Platz – Volkszählung v. 17.5.1939 – Deportationsliste 24. OT v. 9.12.1942 – Gedenkbuch des Bundesarchivs

Stolperstein Martin Conitzer

HIER WOHNTE
MARTIN CONITZER
JG. 1911
DEPORTIERT 2.4.1942
GHETTO WARSCHAU
ERMORDET

Martin Conitzer wurde am 7. März 1911 in Jeschewo, im damaligen Kreis Schwetz an der Weichsel in der Provinz Westpreußen, geboren. Aufgrund des Versailler Vertrages von 1920 fiel dieses Gebiet der wieder gegründeten Polnischen Republik zu.

Er war ein Schwager von Selma Conitzer geb. Cohn und der jüngere Bruder von Siegbert Conitzer, der am 20. Mai 1906 ebenfalls in Jeschewo geboren wurde.

Wann Martin Conitzer in die große Wohnung zu seiner bereits 1938 verwitweten Schwägerin Meta Cohn und deren Schwester Selma Conitzer in der Duisburger Straße 5 einzog, ist unbekannt. Zur Zeit der Volkszählung im Mai 1939 war er jedenfalls dort gemeldet.
Offenbar hatte er versucht, aus Deutschland zu fliehen, denn in den Akten ist vermerkt, dass er die „Reichsfluchtsteuer“ in Höhe von 25% seines Vermögens gezahlt hatte. Diese ausschließlich von jüdischen potentiellen Emigranten zu zahlende Steuer wurde bereits im Dezember 1931 eingeführt und musste gezahlt werden, wenn man seinen inländischen Wohnsitz aufgab. Falls eine Flucht aufgrund z.B. bürokratischer Hürden oder Aufnahmestopps in anderen Ländern misslang, kam sie einer Teilenteignung gleich.

Dies betraf auch Martin Conitzer, nachdem er sich anscheinend aus der Duisburger Straße 5 abgemeldet hatte. Da seine Fluchtpläne scheiterten, wurde er in eine „Ersatzwohnung“ in der Wörthstraße 80 – offenbar ein sog. „Judenhaus“ – in Weißensee eingewiesen. Von dort aus musste er sich in der als Sammelstelle von den Nationalsozialsten missbrauchten Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 melden und wurde am 2. April 1942 mit dem sog. „XII. Osttransport“ zusammen mit 658 weiteren jüdischen Berlinerinnen und Berlinern sowie 367 jüdischen Menschen aus dem Regierungsbezirk Frankfurt/Oder in das Warschauer Ghetto deportiert.

Ob er seine Schwägerin Selma Conitzer, die mit demselben Transport deportiert wurde, in der Sammelstelle, auf dem Transport oder im Ghetto Warschau wiedergesehen hat, ist nicht bekannt. Auch das genaue Datum, wann Martin Conitzer ermordet wurde, ist nicht überliefert.

Recherche und Text: Angelika Kaufel, Monica Schümer-Strucksberg, ergänzt durch Stolperstein-Initiative Charlottenburg- Wilmersdorf
Quellen: – Landeshauptarchiv Brandenburg, Potsdam -Golm – Landesarchiv Berlin, Eichborndamm – Entschädigungsamt Berlin, Fehrbelliner Platz – Volkszählung v. 17.5.1939 – Deportationsliste 12.OT v. 2.4.1942 – Gedenkbuch des Bundesarchivs

Stolperstein Selma Conitzer

HIER WOHNTE
SELMA CONITZER
GEB.COHN
JG. 1875
DEPORTIERT 2.4.1942
GHETTO WARSCHAU
ERMORDET

Selma Conitzer geb. Cohn, war die ältere Schwester von Meta Cohn. Sie wurde am 29. September 1875 ebenfalls in Reichenbach im damaligen Regierungsbezirk Königsberg, Ostpreußen (heute: Województwo Warmińsko-Mazurskie, Woiwodschaft Ermland-Masuren), geboren. Nach dem Tod ihres Ehemannes Moritz 1938 zog sie in die große Wohnung ihrer Schwester, wo auch bereits ihre ledige Nichte Herta Marcus wohnte.

Auch Selma war vermögend, erhielt aber – vermutlich nach dem Tod ihres Mannes – von den Nationalsozialisten die Weisung, dass sie sich „jeder Verfügung über ihr Vermögen zu enthalten habe”. Auch ihr war also der Zugriff auf ihre Vermögenswerte gesperrt, die später – wie das Vermögen aller Familienangehörigen – von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Dies war der erste Schritt zur späteren Enteignung „zugunsten des Deutschen Reiches“.

Selma Conitzer wurde am 1. Juli 1939 zusammen mit ihrer Schwester Meta Cohn und der Nichte Herta Marcus zwangsweise in die Güntzelstraße 15 umgesiedelt. Sie musste sich in der erst 1914 eingeweihten und seit 1941 von den Nationalsozialisten als „Sammelstelle“ missbrauchten Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 im damaligen Bezirk Tiergarten (heute Moabit) einfinden. Von dort wurde sie – wie auch ihr Schwager Martin Conitzer – am 2. April 1942 mit dem sog. „XII. Osttransport“ in das Ghetto Warschau deportiert. Insgesamt wurden mit diesem Transport 1010 jüdische Menschen aus Berlin und dem Regierungsbezirk Frankfurt/Oder deportiert.

Im Ghetto Warschau waren damals ca. 500 000 Menschen eingepfercht – nicht nur Juden aus Warschau und den besetzten Gebieten Polens. Es diente als Sammelstelle für Juden aus dem deutschen Reichsgebiet und anderen besetzten Ländern auf dem Weg in die Vernichtungslager. Ab dem 22.7.1942 wurden die meisten Menschen aus dem Ghetto in der „Großen Aktion“ der SS in das Vernichtungslager Treblinka weiter verschleppt und dort umgebracht.

Der Todestag von Selma Conitzer geb. Cohn, die in der Transportliste fälschlicherweise als geb. Conitzer verzeichnet ist, ist nicht bekannt. Man weiß daher nicht, ob sie bereits an den unsäglichen, menschenunwürdigen und lebensfeindlichen Bedingungen im Ghetto Warschau verstarb oder noch den weiteren Transport nach Treblinka erleiden musste. Im (unvollständigen) Totenbuch des Vernichtungslagers Treblinka ist sie nicht aufgeführt.

Recherche und Text: Angelika Kaufel, Monica Schümer-Strucksberg, ergänzt von Stolperstein-Initiative Charlottenburg -Wilmersdorf
Quellen: – Landeshauptarchiv Brandenburg, Potsdam -Golm – Landesarchiv Berlin, Eichborndamm – Entschädigungsamt Berlin, Fehrbelliner Platz – Volkszählung v. 17.5.1939 – Deportationsliste 12. OT v. 2.4.1942 – Gedenkbuch des Bundesarchivs – Book of Names – Database – The Memory of Treblinka Foundation

Stolperstein Siegbert Conitzer

HIER WOHNTE
SIEGBERT CONITZER
JG. 1906
DEPORTIERT 19.4.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Siegbert Conitzer wurde am 20. Mai 1906 in Jeschewo, Kreis Schwetz im damaligen Westpreußen geboren. Er war der ältere Bruder von Martin Conitzer, der 1911 ebenfalls in Jeschewo zur Welt kam. Jeschewo lag im damaligen Kreis Schwetz an der Weichsel in der Provinz Westpreußen. Aufgrund des Versailler Vertrages von 1920 fiel dieses Gebiet der wieder gegründeten Polnischen Republik zu und gehört heute zur polnischen Woiwodschaft Pommern (Województwo Pomorskie) mit der Hauptstadt Danzig (Gdansk).

Wann er nach Berlin kam, ist ebenso wenig bekannt wie der Zeitpunkt, zu dem er in die Wohnung von Meta Cohn einzog, in der auch sein Bruder Martin und seine Schwägerin Selma zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17. Mai 1939 gemeldet waren.

Von Siegbert Conitzer wissen wir, dass auch er über Vermögenswerte verfügte und dass auch er für 28 RM in der Woche Zwangsarbeit leisten musste. In welchem Betrieb und zu welcher genauen Zeit er dort geschunden wurde, war nicht herauszufinden.

Er verfügte – möglicherweise aus Sicherheitsgründen – über ein möbliertes Zimmer als Zweitwohnung in einem Mietshaus in der Rosenstraße 5-6 im Bezirk Mitte, einem Nachbarhaus des Gebäudes der ehemaligen „Behörde für Wohlfahrtswesen und Jugendfürsorge” der Jüdischen Gemeinde mit der Hausnummer 2-4. In diesem Haus wurden nach der sog. “Fabrikaktion” am 27. Februar 1943 ca. 2000 jüdische Menschen, die noch in Rüstungsbetrieben Zwangsarbeit leisteten, vor der geplanten Deportation inhaftiert. Viele von ihnen waren bis dahin „verschont” geblieben, da sie u.a. durch die Arbeit in Rüstungsbetrieben, aber auch durch Ehe oder Beziehungen zu nichtjüdischen PartnerInnen geschützt waren. Die meisten wurden durch den “Protest in der Rosenstraße” wieder freigelassen und somit vorübergehend vor der sofortigen Deportation gerettet. Frauenprotest in der Rosenstrasse – 27. Februar 1943 (www.berlin-judentum.de)

Siegbert Conitzer wurde aus der Rosenstraße 5-6 in das als Sammellager missbrauchte ehemalige jüdische Altenheim in der Großen Hamburger Straße 26 verbracht und von dort mit dem sog. „37.Osttransport” am 19. April 1943 mit 687 weiteren jüdischen Menschen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Recherche und Text: Angelika Kaufel, Monica Schümer-Strucksberg, ergänzt von Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen: – Landeshauptarchiv Berlin – Brandenburg, Potsdam -Golm – Landesarchiv Berlin, Eichborndamm – Entschädigungsamt Berlin, Fehrbelliner Platz – Volkszählung v. 17.5.1939 – Deportationsliste 37. OT vom 19.4.1943 – Gedenkbuch des Bundesarchivs

Stolperstein Herta Marcus

HIER WOHNTE
HERTA MARCUS
JG. 1903
DEPORTIERT 9.12.1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Herta Marcus wurde am 18. Februar 1903 in Hermsdorf geboren. Über ihre Eltern war nichts herauszufinden. Sie war die ledige Nichte von Meta Cohn und Selma Conitzer geb. Cohn.

Wann genau sie bei ihrer Tante Meta in die große Wohnung in der Duisburger Straße 5 einzog ist nicht überliefert – am Tag der Volkszählung am 17. Mai 1939 war sie jedenfalls dort gemeldet. Sie musste für 22 RM pro Woche Zwangsarbeit leisten. In welchem Betrieb und zu welcher Zeit genau, ist in den Akten nicht verzeichnet.
Mit ihren beiden Tanten Meta und Selma wurde sie am 1. Juli 1939 zwangsweise aus der Duisburger Straße 5 ausgewiesen und in eine sog. „Judenwohnung” in der Güntzelstraße 15 eingesiedelt. Rechtliche Grundlage dafür war das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden” vom 30. April 1939, das den Mieterschutz für jüdische Deutsche komplett aufhob. Durch das „Reichsbürgergesetz” vom 15. September 1935 waren sie bereits zu Bürgern zweiter Klasse degradiert worden. Die Begründung für dieses „Entmietungsgesetz” war, „dass es eine vertrauensvolle Hausgemeinschaft zwischen Deutschen und Juden nicht geben könne”. Tatsächlich ging es aber vor allem darum, jüdische Menschen aus schönen, großen Wohnungen in begehrten Wohnlagen – wie es Charlottenburg und Wilmersdorf auch schon damals waren – zu vertreiben, um Nazi-Größen luxuriöse Wohnungen zukommen zu lassen.

Nachdem ihre Tante Selma Conitzer bereits im April 1942 in das Warschauer Ghetto deportiert und dort vermutlich umgebracht worden war, wurde Herta Marcus im Alter von fast 42 Jahren zusammen mit ihrer Tante Meta Cohn am 9. Dezember 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Es ist nicht bekannt, ob sie aufgrund ihres relativ jungen Alters noch zum “Arbeitseinsatz” kam oder sofort nach Ankunft in Auschwitz ermordet wurde.

Recherche und Text: Angelika Kaufel, Monica Schümer-Strucksberg ergänzt von Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen: – Landeshauptarchiv Brandenburg, Potsdam-Golm – Landesarchiv Berlin, Eichborndamm – Entschädigungsamt Berlin, Fehrbelliner Platz – Volkszählung v. 17.5.1939 – Gedenkbuch des Bundesarchivs

Stolperstein Luise Fischer

HIER WOHNTE
LUISE FISCHER
GEB. HERZHEIM
JG. 1875
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
3.4.1942

Luise Fischer, geb. Herzheim, wurde am 30. Januar 1875 in Paderborn als Tochter von Amalie Herzheim geboren. Über den Vater war nichts herauszufinden. Es ist aber bestätigt, dass Luise zwei Geschwister hatte: Albert, der den Holocaust überlebte, und eine Schwester, deren Namen und Schicksal nicht bekannt sind.

Sie war mit Dr. Hugo Fischer verheiratet, der im Dezember 1912 zum “Geheimen Justizrat” ernannt worden war. Mit ihm hatte sie vor 1939 in der Tauentzienstraße 7B in Schöneberg gewohnt. Wann genau das Ehepaar in die Duisburger Straße 5 zog, ist nicht überliefert. Nach dem Tod ihres Mannes am 18.Februar 1942 war sie gemäß eines gemeinsam verfassten Testaments dessen Alleinerbin. Das Vermögen umfasste u.a. Effekten, Bankkonten und verschiedene Sparbücher.

Luise Fischer wurde nach dem Tod ihres Ehemannes zwangsweise aus ihrer Wohnung in der Duisburger Straße 5 ausgewiesen und musste in die Brandenburgische Straße 42 in ein Untermietzimmer ziehen. Von dort wurde sie in das Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße „verlegt“, das damals von den Nationalsozialisten als „Sammellager“ und Durchgangsstation für die Deportation jüdischer Menschen in die Vernichtungslager missbraucht wurde. Dort nahm sie sich das Leben.

Sie muss vor ihrem Suizid von ihrer bevorstehenden Deportation gewusst haben, denn sie hatte bei der Dresdner Bank Werte für die von allen jüdischen Menschen unabhängig von einer Fluchtabsicht zu zahlende “Reichsfluchtsteuer” verpfändet. Ebenso wurden die wenigen Tage vor einer Deportation auszufüllenden Formulare zur Vermögenserklärung in ihrem Zimmer auf dem Tisch gefunden. Sie hatte sie allerdings nicht ausgefüllt.

Zudem hinterließ sie ein Testament mit Angaben zum Vermögen und der Auflistung von Personen und Einrichtungen, die bedacht werden sollten. So war z. B. ein Teil des Geldes für die Jüdische Gemeinde und das Jüdische Waisenhaus bestimmt. Diese sollten dafür Sorge tragen, zehn Jahre lang das Kaddischgebet für Luise Fischer zu sprechen und die Grabpflege zu übernehmen. Trotz dieses Testamentes wurde ihr Vermögen als “dem deutschen Reich verfallen” beschlagnahmt. Die von Frau Fischer benannte Testamentsvollstreckerin wies die nationalsozialistischen Behörden mutig darauf hin, dass die Beschlagnahme aufzuheben sei, da ein Freitod nicht den Verlust der Staatsangehörigkeit bedeute, und nur das sei Voraussetzung für das Verfallen des Vermögens. Natürlich wurde die Bitte um die Aufhebung der Beschlagnahme abgelehnt und somit der rechtmäßige letzte Wille der Verstorbenen nicht erfüllt.

Wie viele jüdische Berlinerinnen und Berliner (allein 1942 sind bei der jüdischen Gemeinde ca. 900 Suizide verzeichnet) sah wohl auch Luise Fischer es in ihrer verzweifelten Lage als Teil ihrer Würde an, der Deportation zuvorzukommen und den Nationalsozialisten nicht zu gestatten, die Entscheidung über Zeitpunkt, Ort und Art ihres Todes zu treffen.

Luise Fischer nahm sich am 3. April 1942 im Jüdischen Krankenhaus zu Berlin das Leben.

Recherche und Text: Angelika Kaufel, Monica Schümer-Strucksberg
Quellen: – Volkszählung vom 17.5.1939 – Landeshauptarchiv Brandenburg, Potsdam-Golm – Gedenkbuch des Bundesarchivs – https://www.statistik-des-holocaust.de/stat_ger_ber.html – Jüdische Bevölkerung in Berlin (www.statistik-des-holocaust.de)

Stolperstein Dr. Artur Zadek

HIER WOHNTE
DR. ARTUR ZADEK
JG. 1874
DEPORTIERT 4.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 1.3.1943

Arthur Zadek war am 7. Juli 1874 in Dorstfeld, einem Innenstadtbezirk von Dortmund, geboren worden. Er war promoviert und von Beruf Prokuríst einer Bank.

Stolperstein Betty Zadek

HIER WOHNTE
BETTY ZADEK
GEB. ANSBACH
JG. 1882
DEPORTIERT 4.8.1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Betty Zadek (eigentlich Bertha), geb. Ansbach, wurde geboren am 6. März 1882 in Schneidemühl in der damaligen preußischen Provinz Posen (heute Pila in der Woiwodschaft Großpolen, Województwo Wielkopolskie).
Das Ehepaar lebte mit seiner Tochter Ruth, die am 16.5.1911 geboren wurde, in der Duisburger Straße 5 in einer großen Wohnung im zweiten Stock. Aus der späteren Beschreibung einer befreundeten Familie entsteht das Bild von sehr gut situierten, bildungsbügerlichen Lebensumständen: – das Schlafzimmer aus heller Eiche, – das Zimmer der Tochter aus Nussbaum poliert mit einer großen medizinischen Bibliothek und drei Kisten Aussteuer, – das Wohn- und Speisezimmer aus dunkler Eiche mit einem Bechstein Stutzflügel, – das Herrenzimmer ebenfalls aus dunkler Eiche geschnitzt mit einer großen Bibliothek von ca. 300 wertvollen Büchern („da sich Herr Zadek besonders hierfür interessierte“), – eine wertvolle Briefmarkensammlung mit ca. 4000 Marken („da Herr Zadek schon in der Jugend zu sammeln begann, war er besonders auf altdeutsche Marken spezialisiert“), – ein Fremdenzimmer mit hellgrünen Schleiflack-Möbeln, – die Küche hell, – in allen Räumen wertvolle Lampen.
Auch die umfangreiche und hochwertige Damen- und Herrengarderobe, einschließlich Pelzmänteln, wird erwähnt.
Die einzige Tocher Ruth konnte zu Beginn ihres Studiums der Zahnmedizin in Berlin mit einer Studienfreundin zusammenziehen und 1933 in die Schweiz fliehen. So erlebte sie nicht, wie ihre Eltern 1942 gezwungen wurden, ihre Wohnung in der Duisburger Straße 5 mit sehr wenig Gepäck zu verlassen. Die Wohnung wurde sofort versiegelt, alle Einrichtungsgegenstände und wertvollen Besitztümer beschlagnahmt und abtransportiert. Wer sich des beschlagnahmten Eigentums der Zadeks „annahm“, ist in den Verfahrensakten in den Archiven nicht vermerkt. Das Ehepaar wurde in eine Wohnung in der Bozener Str. 9 im Bezirk Schöneberg einquartiert – vermutlich mit weiteren jüdischen Menschen. Auch die dorthin mitgenommenen wenigen Gegenstände wurden noch beschlagnahmt, als beide deportiert wurden.
Artur und Betty Zadek mussten sich in dem von den Nationalsozialisten als “Sammellager” missbrauchten Altenheim der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Großen Hamburger Straße 26 einfinden. Von dort aus wurden sie am 4. August 1942 mit dem sog. “36. Alterstransport” zusammen mit weiteren 98 jüdischen Berlinerinnen und Berlinern in das Ghetto Theresienstadt deportiert.
Dr. Artur Zadek überlebte die unsäglichen, lebensfeindlichen Bedingungen dort nicht. Die “Todesfallanzeige” vom 1. März 1943 weist als Todesursache “Myokarditis – Herzmuskelentzündung” aus. Man weiß aber heute, dass die wahren Todesursachen – Lebensmittelmangel, Seuchen, mangelnde medizinische Versorgung etc. – häufig verschleiert wurden.

Todesfallanzeige

Todesfallanzeige Zadek

Betty Zadek war also Witwe als sie am 16. Mai 1944 weiter nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet wurde. Ein genaues Todesdatum ist nicht überliefert.
Die Tochter Dr. Ruth Sternlicht geb. Zadek stellte 1962 einen „Wiedergutmachungs-Antrag“ auf Rückerstattung der Vermögenswerte ihrer Eltern – Mobiliar, Bankkonten, Wertpapiere etc. Der Wiederbeschaffungswert der Einrichtung und Gegenstände wurde gutachterlich festgestellt und ausgezahlt. Die Zerstörung eines Familienlebens in Berlin wurde nicht bewertet. Das konnte – und kann – ohnehin nicht „wiedergutgemacht“ werden.
Über ihre Zeit an der Universität Basel ab 1933 gab Ruth Sternlicht einer Forscherin ein Interview. Noemi Sibold schreibt in der Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde: „Die aus einem liberalen jüdischen Elternhaus stammende Ruth Sternlicht-Zadek, geboren 1911 in Berlin, kam 1933 nach Basel, um hier ihr in Deutschland begonnenes Studium der Zahnmedizin weiterzuführen. Laut ihren Erinnerungen scheint ihr Umfeld weniger auf ihre Religionszugehörigkeit, als vielmehr auf ihr Deutschsein reagiert zu haben. So erzählte sie, dass sowohl ihre Gastfamilie als auch ihre Kollegen am Zahnärztlichen Institut von Anfang an nur Schweizerdeutsch mit ihr sprachen. Letztere zogen sie auf: «Ihr mit eurer Berliner Feuerwehr nehmt die ganze Schweiz ein! Du musst jetzt so reden wie wir!» Ruth Sternlicht betonte, dass es ihr wichtig war, sich sehr rasch zu «akklimatisieren». Dank ihrer Sprachbegabung und dem Umgang mit den Studenten habe sie das Schweizerdeutsche bald beherrscht. Und vom ersten Tag an habe sie auch die alte deutsche Schrift nicht mehr geschrieben.“

Recherche und Text: Angelika Kaufel, Monica Schümer-Strucksberg
Quellen – Volkszählung vom 17.5.1939 – Gedenkbuch des Bundesarchivs – Opferdatenbank Theresienstadt – Landesarchiv Berlin, Eichborndamm, WGA – Noemi Sibold: Die Universität Basel und die jüdischen Emigranten und Flüchtlinge in den 1930er Jahren (ww.e-periodica.ch)
- https://www.holocaust.cz/de/datenbank-der-digitalisierten-dokumenten/dokument/95912-zadek-arthur-todesfallanzeige-ghetto-theresienstadt/