Stolperstein Fasanenstr. 13

Hausansicht Fasanenstraße 13

Hausansicht Fasanenstraße 13

Der Stolperstein wurde am 24. Juni 2023 verlegt und von Alexandra Matz gespendet.

Stolperstein Otti Berger

Stolperstein Otti Berger

HIER WOHNTE
OTTI BERGER
JG. 1898
FLUCHT 1937 ENGLAND
1938 JUGOSLAWIEN
DEPORTIERT 29.5.1944
AUSCHWITZ
ERMORDET

Otti (Ottilia) Berger wurde als Kind ungarisch-jüdischer Eltern am 4. Oktober 1898 in Zmajevac / Vörösmart (Region Baranja, damals Österreich-Ungarn, heute Republik Kroatien) geboren. Ihre Eltern waren Lajos Berger (1860 – 1941) und Ida Krausz (1880 – 1944), die in Zmajevac als Kaufleute tätig waren. Sie hatte zwei Geschwister, den Halbbruder Oskar (Oszkar, 1888 – 1944) aus der ersten Ehe Lajos Bergers mit Regina Bichler. Er führte später das elterliche Geschäft. Der jüngere Bruder Otto (1900 – 1960) war Modeschöpfer und arbeitete in einem Modesalon in Karlsbad (Karlovy Vary) und Prag.

Nach ihrer Schulbildung studierte sie ab 1922 Kunst an der Königlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Zagreb. Anfang 1927 begann Otti Berger den Vorkurs am Bauhaus Dessau und wurde dort im September des gleichen Jahres in der Webereiklasse unter Gunta Stölzl zum Hauptstudium zugelassen, das sie im November 1930 mit dem Bauhaus Diplom abschloss.

Die „Hochschule für Gestaltung” – bekannt als „Bauhaus“ – war 1919 in Weimar von Walter Gropius gegründet worden und erlebte in Dessau zwischen 1925 und 1932 ihre Blütezeit. Schon nach der Landtagswahl am 21. Mai 1932 – also vor der „Machtergreifung” der Nationalsozialisten im Januar 1933 – stellte die NSDAP die Regierung des damaligen Freistaats Anhalt. Auch in der Dessauer Stadtversammlung hatten die Nazis die Mehrheit erreicht. Am 30. September 1932 beschloss die Stadtversammlung die Schließung des Bauhauses.

Bereits während ihres Studiums war Otti Berger sehr beliebt und später gut vernetzt. Von Ende 1931 bis Anfang 1932 wurde ihr kurzzeitig die Leitung der Webereiwerkstatt übertragen. Nach der Schließung des Bauhauses in Dessau zog Otti Berger nach Berlin und arbeitete freiberuflich in ihrem Berliner Atelier an neuartigen Materialkombinationen, für die sie Patente und Gebrauchsmuster zugesprochen bekam.

Die Berliner Adressbücher für die Jahre 1932 bis 1936 weisen unter den Einträgen für die Fasanenstraße 13 in Berlin-Charlottenburg auch „Berger, O., Kunstgewerblerin“ aus. Der Eintrag steht für Otti Berger, die in diesen Jahren im Hinterhaus des Gebäudes ihr „laboratorium und versuchswerkstatt. stoffe für bekleidung, möbel, vorhang-, wandbekleidung und bodenbelag“ hatte und auch hier lebte.

Plakat zur Verlegung. Gestaltung Alexandra Matz. Otti Berger an ihrem Arbeitstisch (Aufnahme ca. 1930-1932). Inv.nr. 199623.26. Bauhaus-Archiv Berlin.

Plakat zur Verlegung. Gestaltung Alexandra Matz. Otti Berger an ihrem Arbeitstisch (Aufnahme ca. 1930-1932). Inv.nr. 199623.26. Bauhaus-Archiv Berlin.

Sie war eine der innovativsten und erfolgreichsten Textilgestalterinnen der Moderne wie die ehemalige Leiterin der Bauhaus Webereiwerkstatt, Gunta Stölzl, sowie Direktor Walter Gropius bestätigten.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 stellte sich die Realität für Otti Berger grundlegend anders dar: Sie, im damaligen Österreich-Ungarn geboren, galt als Ausländerin, und aufgrund ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit wurde ihr 1936 ein Berufsverbot erteilt, woraufhin sie nach England floh. Hierbei folgte sie anderen Bauhäuslern nach, die bereits nach England emigriert oder auch schon von England weiter nach Amerika gereist waren. In der Zeit von 1937 bis 1938 erhielt Otti Berger in England nur einen einzigen bezahlten Auftrag von der Firma Helios Ltd. nahe Manchester. In der Retrospektive wird Otti Berger ihre Zeit in England als nicht sehr positiv beschreiben. Sie ging in einem späteren Brief an Ludwig Hilberseimer so weit zu sagen, dass sie keine geschäftliche Tätigkeit mehr in England aufnehmen möchte.

Otti Berger hatte bereits länger die Emigration in die USA zu ihrem Lebensgefährten Ludwig Hilberseimer geplant. Dort wollte sie einem Ruf László Moholy-Nagys an das „New Bauhaus” in Chicago folgen. Doch zunächst kehrte sie nach einer letzten gemeinsamen Reise mit Ludwig Hilberseimer durch Südosteuropa – und der Verabschiedung von ihm vor seiner Ausreise von England nach Amerika – im August 1938 in ihre Heimat nach Zmajevac zurück, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern. In ihrem ersten Brief von dort an Ludwig Hilberseimer beschrieb sie die ihr unwirklich erscheinende Situation, mit dem Flugzeug von England nach Prag über das „Dritte Reich“ zu fliegen. Zu diesem Zeitpunkt war Otti Berger trotz deutlicher Warnsignale noch zuversichtlich, ihrem Lebensgefährten bald in die USA folgen zu können.

In Jugoslawien saß sie jedoch nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fest und erhielt das Visum zu spät, um noch ausreisen zu können. Anfangs vermutete sie, dass die USA sie aufgrund der seit ihrer Kindheit bestehenden Hörbehinderung nicht ins Land lassen wollten. Von hieran verschlechterte sich die Lage der Familie Berger – wie auch anderer Juden in diesem Grenzgebiet zwischen Jugoslawien und Ungarn – Jahr um Jahr. In ihren Briefen an Hilberseimer wandelte sich die zuerst noch vorherrschende Zuversicht nach und nach in Traurigkeit, Schrecken und Realisierung der prekären Lage. So schrieb Otti Berger bereits Ende 1938 von ihrem starken Gewichtsverlust, berichtete von „fürchterlichem Antisemitismus“ oder beschrieb während einer Reise von Budapest zurück nach Zmajevac beobachtete Zwangsräumungen in den Straßen von Wien. Ihre letzten beiden erhaltenen Briefe an Ludwig Hilberseimer sind auf den September 1941 datiert und stellen das letzte bekannte Lebenszeichen von Otti Berger dar.

Ungarn war zwar im Zweiten Weltkrieg mit dem nationalsozialistischen Deutschland verbündet, die dort lebenden jüdischen Menschen aber dennoch zunächst von Deportationen verschont geblieben. Nach der Besetzung durch die Wehrmacht und der Einsetzung einer Kollaborations – Regierung im März 1944 wurde aber auch hier die „Endlösung der Judenfrage” unter der Leitung von Adolf Eichmann konsequent durchgesetzt. Fast 70 % der über 800 Tsd jüdischen Ungarinnen und Ungarn wurden deportiert und ermordet – überwiegend in Auschwitz.

Otti Berger, ihre Brüder und ihre Schwägerin Elza (Elizabeth) Berger geb.Fischer (* 1894), mussten im April 1944 aufgrund polizeilicher Aufforderung Ihre Häuser in Zmajevac / Vörösmart verlassen und wurden für fünf Wochen in einem Lager interniert, bevor sie am 29. Mai 1944 vermutlich über ein Lager in Mohács oder Pécs (Ungarn) nach Auschwitz deportiert wurden. Otti Bergers Mutter verstarb kurz vor der Deportation. Nur ihr Bruder Otto überlebte und schrieb 1945 an Ludwig Hilberseimer über die Verhaftung und Deportierung. Er musste Hilberseimer übermitteln, dass seine Lebensgefährtin Otti und deren Familienmitglieder vermutlich nie wieder zurückkommen würden. Über Otti schrieb er, dass sie aufgrund ihrer Hörbehinderung vermutlich direkt nach Ankunft in Auschwitz ermordet wurde.

Durch die Reaktivierung alter Bauhaus-Netzwerke erreichte Ludwig Hilberseimer in den Nachkriegsjahren, dass Otti Bergers Hab und Gut, das noch in London lagerte – inklusive Musterbüchern und Stoffen – als Schenkung an das Busch-Reisinger Museum in Harvard sowie dem Art Institute of Chicago überstellt wurde und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte.

Stoff "Burdale" (links, Jacquard) und "Eldrig" (rechts, Bouclé). Design: Otti Berger (1937) für Helios Ltd, Bolton, nahe Manchester, Archive of the Whitworth Art Gallery, The University of Manchester.

Stoff "Burdale" (links, Jacquard) und "Eldrig" (rechts, Bouclé). Design: Otti Berger (1937) für Helios Ltd, Bolton, nahe Manchester, Archive of the Whitworth Art Gallery, The University of Manchester.

Für Otti Berger, die nach der Deportation aus Ungarn am 29. Mai 1944 bei Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz vermutlich sofort ermordet wurde, und ihre ebenfalls ermordeten Familienmitglieder wurde auf Initiative ihres Bruders Otto Berger auf dem jüdischen Friedhof von Zmajevac ein Gedenkstein aufgestellt. Er wurde 2018 an eine Gedenkstätte für verdiente Bürgerinnen und Bürger der Stadt umgesetzt.

Gedenkstein Otti Berger

Gedenkstein Otti Berger

Zeitgleich zur Verlegung des Stolpersteins in Berlin fanden von Alexandra Matz initiierte Gedenkveranstaltungen in Zagreb und Zmajevac / Vörösmart statt, die von ebenfalls mit der Erinnerung an Otti Berger beschäftigten Mitstreiter:innen vor Ort durchgeführt wurden.

Recherche und Text: Alexandra Matz

Quellen:
- Berliner Adressbücher
- Die Geschichte des Bauhauses in Dessau (bauhaus-dessau.de)
- LeMO Der Zweite Weltkrieg – Völkermord – Deportation ungarischer Juden (dhm.de)

Bibliografie (Auszug):
- Bußmann, A. Otti Berger. https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/otti-berger/
- Droste, M. (Ed.). (1988). Jahresausstellung des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute, AsKI: Vol. 1998. Das Bauhaus Webt: Ein Projekt der Bauhaus-Sammlungen in Weimar Dessau Berlin. GH Verlag Berlin.
- Smith, T. L. (2014). Bauhaus weaving theory: From feminine craft to mode of design. University of Minnesota Press. https://doi.org/10.5749/j.ctt9qh311
- Varga, M. (2017). Ég és föld között: Berger Otti, a vörösmarti textilművésznő. Pannónia könyvek. Pro Pannonia.