Stolpersteine Herderstraße 12

Harderstraße 12

Die Stolpersteine für die Familie Fluss wurden am 6. März 2024 vom Künstler Gunter Demnig verlegt und durch Spenden von Schülerinnen sowie dem Förderverein des Heinz-Berggruen-Gymnasiums ermöglicht. Drei Schülerinnen haben die Geschichte ihrer Schule recherchiert und sind dabei auf die Familie Fluss aufmerksam geworden, da Siegfried Fluss Schüler in der Vorgängerschule des Heinz-Berggruen-Gymnasiums, dem Kaiserin-Augusta-Gymnasium, war.

Der Stolperstein für Siegfried Fluss ist der 4000ste in Charlottenburg-Wilmersdorf verlegte Stolperstein.

Fluss, Pinkus

HIER WOHNTE
PINKUS FLUSS
JG. 1883
FLUCHT 1939
ENGLAND

Fluss, Scheindlajenny,

HIER WOHNTE
SCHEINDLA JENNY
FLUSS
GEB. ROTTENBERG
JG. 1892
DEPORTIERT 14.4.1942
GHETTO WARSCHAU
ERMORDET

HIER WOHNTE
BERTHA FLUSS
VERH. HAMBURGER
JG. 1920
FLUCHT 1939
PALÄSTINA

Fluss, Siegfried

HIER WOHNTE
SIEGFRIED
FLUSS
JG. 1921
FLUCHT 1939
ENGLAND

Fluss, Toska

HIER WOHNTE
TOSKA FLUSS
VERH. SANDOR
JG. 1923
DEPORTIERT 14.4.1942
GHETTO WARSCHAU
ÜBERLEBT

Fluss, Isi

HIER WOHNTE
ISI FLUSS
JG. 1924
VERHAFTET 27.9.1939
KZ SACHSENHAUSEN
ERMORDET 14.12.1942

Fluss, Josef

HIER WOHNTE
JOSEF FLUSS
JG. 1926
DEPORTIERT 14.4.1942
GHETTO WARSCHAU
MAJDANEK
ERMORDET

In der Herderstraße 12 lebte die siebenköpfige Familie Fluss. Pinkus Fluss war Kaufmann und hatte das Haus 1930 erworben. 1932 zog die Familie aus der Oranienburger Straße 66 in die Herderstraße 12 um. Nachdem drei Familienmitglieder geflohen und die anderen deportiert worden waren, wurde das Haus von den Nationalsozialisten vermutlich beschlagnahmt. Ab 1941 steht im Adressbuch: „Eigentümer ungenannt“.

Die Familie bestand aus dem Vater Pinkus (geb. 9. Juli 1883), der Mutter Scheindla, geb. Rottenberg (geb. 2. November 1892) und den fünf Kindern: Bertha (geb. 12. August 1920), Siegfried (geb. 26. August 1921), Toska (geb. 19. Februar 1923), Isi (geb. 26. April 1924) und Josef (geb. 30. Juni 1926). Die Kinder wuchsen in einer liebevollen Familie auf, in der Musik eine große Bedeutung hatte. Jedes Kind konnte Geige und Klavier spielen. Isi hatte sogar ein absolutes Gehör. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 veränderte sich das Leben der Familie, wie für jede jüdische Familie, drastisch. Nichts war mehr wie vorher und jedes einzelne Mitglied hatte ein eigenes, tragisches Schicksal.

Siegfried, das zweite Kind des Ehepaares, war zunächst auf eine jüdische Privatschule gegangen und wechselte 1932 auf das Kaiserin-Augusta-Gymnasium. Ein Gutachten von Ostern 1933 besagt, dass er schulisch Probleme habe, aber stets bemüht sei seine Leistung auszugleichen. Trotzdem zeigte das nächste Gutachten von September 1933, dass Siegfried nicht versetzt wurde. Welche Rolle dabei seine jüdische Herkunft gespielt hat, lässt sich nur vermuten.

Siegfrieds jüngerer Bruder Isi wurde am 17. September 1939 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen gebracht. Die Ursache für die Verhaftung des erst 15-jährigen Kindes ist nicht mehr herauszufinden. Dort starb er am 14. Dezember 1942 im Alter von gerade einmal 18 Jahren. In NS-Dokumenten wurde als Todesursache eine doppelseitige Lungentuberkulose angegeben. Ob dies der Wahrheit entspricht, ist zu bezweifeln.

Wie genau das Leben der anderen Familienmitglieder Fluss weiter ging, ist nicht genau bekannt. Vermutlich glückte Siegfried und seinem Vater Pinkus 1939 die Flucht nach England. Siegfried blieb mit seinem Vater in London und heiratete 1958 Sylvia Lerner. Mit ihr gründete er eine Familie und hatte mindestens eine Tochter. Er arbeitete vermutlich mit seiner Frau als Direktor in einem Unternehmen. Mittlerweile sind sowohl Siegfried als auch sein Vater in London gestorben. In dem Haus, in dem Siegfried gewohnt hat, wohnt nun seine Tochter.

Auch dem ältesten Kind der Familie, Bertha, gelang 1939 die Flucht nach Palästina. Sie heiratete und nahm den Nachnamen Hamburger an.

Etwa zur gleichen Zeit zog eine andere Familie, Familie Robert, vermutlich eine Zwangsumsiedlung, zu dem Rest der Familie Fluss in die Herderstraße. Nun mussten zwei Familien auf Wohnraum, der für eine Familie ausgelegt war, leben. Auch die Familie Robert wurde deportiert und in das Durchgangs-Ghetto Piaski bei Lublin in Polen gebracht. (Stolpersteine Jenaer Straße 11)

Die Mutter Scheindla, die Tochter Toska und der Sohn Josef, wurden am 14. April 1942 ins Warschauer Getto deportiert. Scheindla wurde im Warschauer Ghetto ermordet. Josef wurde aus dem Ghetto weiter in das Konzentrationslager Majdanek verschleppt und dort im Alter von gerade einmal 18 Jahren umgebracht. Nur Toska überlebte die Jahre im Ghetto. Sie kam nach dem Krieg auf nicht näher bekannten Wegen nach Weilheim in ein Lager für „displaced persons“, arbeitete als Kosmetikerin und heiratete 1946 Aurel Sandor.

Die Überlebenden Pinkus, Siegfried, Toska und Bertha Fluss mussten mit dem Wissen, dass ihre halbe Familie ausgelöscht wurde, weiterleben.

Recherche und Text: Marie Leithner, Anne Sophie Kind und Marlene Hornig
Quellen:
- Adressbücher Berlin
- Volkszählung vom 17.5.1939
- Gedenkbuch des Bundesarchivs
- Berliner Gedenkbuch der FU
- Arolsen Archives
- Landesarchiv Berlin
- Heinz-Berggruen-Gymnasium: Schülerinnen-Initiative Stolpersteinverlegung – Heinz-Berggruen-Gymnasium Berlin (hbgym.de)