Stolpersteine Bayerische Straße 27

Hausansicht Bayerische Str. 27

Diese Stolpersteine wurden am 16.6.2016 verlegt.

Stolperstein Alfred Scherk

HIER WOHNTE
ALFRED SCHERK
JG. 1877
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Stolperstein Lea Scherk

HIER WOHNTE
LEA SCHERK
GEB SPIRO
JG. 1883
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Alfred Scherk wurde 1877 in Schwersenz (Swarzędz), zehn Kilometer östlich von Posen, geboren. Auch seine Eltern, Hermann Scherk und Pauline Scherk, geb. Danziger, waren dort geboren worden; sie hatten acht Kinder: Heinrich, Rudolf, Benno, Lina Cerline, Siegfried, Berthold, Hulda, Alfred und Ludwig (laut einer Quelle gab es eventuell noch ein neuntes Kind namens Curt). Vater Hermann Scherk betrieb in Berlin einen Getreide- und Spirituosenhandel.

Alfreds Frau Lea Spiro war sechs Jahre jünger als er und stammte aus Koschmin (Kozmin) im Südosten der Provinz Posen. Ihre Eltern Michael und Emma Spiro hatten keine weiteren gemeinsamen Kinder, aber aus einer zweiten Ehe des Vaters hatte Lea vier jüngere Halbgeschwister: Sally, Georg, Dina und David Spiro.

Alfred und Lea heirateten 1905 in Koschmin, zogen nach Berlin und bekamen drei Kinder: Hermann (1905), Rita Paula (1908) und Peter (1910). Sie lebten unter anderem am Magdeburger Platz in Tiergarten, am Schlachtensee in Zehlendorf und zuletzt in der Bayerischen Straße in Wilmersdorf. Als Alfreds Bruder Berthold 1901 in der Schöneberger Potsdamer Straße eine Papierhandlung gründete, war Alfred sein Geschäftspartner, anfangs als „Kaufmannsgehilfe“, spätestens 1912 als Mitinhaber. Ab 1916 führte das Geschäft die Bezeichnung „Kontorbedarfshandlung“, ab 1919 war er alleiniger Firmeninhaber. Später expandierte die Firma zu einer Druckerei, die neben der Potsdamer Straße auch am Tempelhofer Ufer 17 firmierte. Seine Frau Lea arbeitete dort als Sekretärin. Die Druckerei produzierte u.a. die vom Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten herausgegebene Zeitschrift „Der Schild“.

Auch Alfreds Brüder waren Unternehmer in Berlin (bis auf Benno, der bereits 1882 in die USA ausgewandert war): Berthold hatte nach seiner Tätigkeit im Druckereigewerbe ein Lederwarengeschäft am Kurfürstendamm gegründet, und Heinrich Scherk übernahm mit seinem Bruder Rudolf eine „Papierhandlung, Kontorutensilien, Buch- und Steindruckerei“ in der Köpenicker Straße, das später von Heinrichs Witwe Margarethe weitergeführt wurde. Am erfolgreichsten war Ludwig als Gründer des Kosmetikunternehmens Scherk, das in den 1920-er Jahren allein in Berlin über 400 Mitarbeiter hatte, 53 Zweigstellen in der ganzen Welt betrieb und dessen Parfümlinien Mystikum und TARR/TARS in London, Paris und New York begehrt waren.

Im Laufe der 1930er Jahren wurde alle Unternehmen der Geschwister Scherk von den Nazis „arisiert“, verkauft oder liquidiert. Alfreds Druckerei wurde 1937 liquidiert, Margarethes Papierhandel wurde 1936 „arisiert“, Ludwigs Kosmetikunternehmen wurde 1938 an die Schering AG verkauft. Ludwig emigrierte nach London; seinen Söhnen gelang die Flucht nach Jerusalem und in die USA. Berthold emigrierte mit seiner Familie nach Palästina. Alfreds und Leas Kinder konnten Deutschland verlassen: Hermann gelangte nach Brasilien, Rita Paula war Ärztin in Mexiko und Peter Mathematikprofessor in Kanada.
Aber Alfred und Lea Scherk blieben in Berlin, aus Gründen, die wir nicht kennen. Sie lebten zuletzt zwangsweise als Untermieter in der Bayerischen Straße 27 und erhielten im Oktober 1942 ihren Sammelbefehl. Im Gedenkbuch von Yad Vashem heißt es:
„Am 19. Oktober wurden alle Deportierten vom Sammellager zu einem Güterbahnhof an der Putlitzstraße/Quitzowstraße in Berlin-Moabit gebracht. Dies geschah für gewöhnlich in den frühen Morgenstunden. Die Deportierten wurden gezwungen, ca. drei Kilometer zum Bahnhof zu marschieren, entlang der Jagowstraße, Alt-Moabit, Turmstraße, Perleberger Straße, Havelberger Straße und der Quitzowstraße. Nicht Gehfähige wurden mit Lastwagen dorthin gebracht.

Am Bahnhof standen von der Gestapo bestellte und von der Reichsbahn bereitgestellte Passagierwaggons dritter Klasse bereit und den Deportierten wurde befohlen einzusteigen. Dieser Transport fuhr am selben Tag ab. Es war der 21. von über 60 Transporten aus Berlin in den Osten (Osttransport), in denen insgesamt über 35.000 Juden aus Berlin in die Ghettos und Vernichtungslager in Osteuropa deportiert wurden. Dieser Transport bestand aus bis zu 962 Männern, Frauen und Kindern aus Berlin. Das Durchschnittsalter der Deportierten betrug 37 Jahre. Unter ihnen waren auch 209 Kinder unter 15 Jahren, darunter der damals zehn Jahre alte Bruder des später berühmten Showmoderators, Filmemachers und Vorstandsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, Hans Rosenthal (1925 – 1987). In einem separaten Abteil wurden Insassen des Polizeigefängnisses am Berliner Alexanderplatz deportiert. Während der Fahrt wurden die Juden von einem Wachkommando der Schutzpolizei bewacht. Das Ziel wurde ihnen nicht mitgeteilt und nach drei Tagen in überfüllten Waggons kamen sie am 22. Oktober am Bahnhof Skirotava am Stadtrand von Riga an.

Aus diesem Transport wurden 81 Männer nach ihrer handwerklichen Geschicklichkeit ausgewählt und zur Zwangsarbeit geschickt, wo sie unter unmöglichen Bedingungen arbeiten mussten. Der Historiker Wolfgang Scheffler gab im Jahr 2002 an, dass nur 17 von ihnen überlebten. Alle anderen Deportierten wurden am 22. Oktober 1942 kurz nach ihrer Ankunft in den Wäldern Rumbula und Bikernieki erschossen.“

Leas und Alfreds Tochter Rita stellte in den 1950er Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder Peter einen Entschädigungsantrag als Erben ihrer Mutter (es ist offen, ob es auch einen Antrag für ihren Vater gab). Der „Schaden an Freiheit“, in den Akten mit „Sterntragen in Berlin und Deportation“ begründet, wurde mit 6.450 D-Mark entschädigt. Die Entschädigung für den „Schaden im beruflichen Fortkommen“ von Lea Scherk fiel mit 8.580 D-Mark höher aus.

Recherche und Text: Katrin Schwenk, Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:

https://archive.org/stream/JdischesJahrbuchGrossBerlin/Jg.%201%20%281926%29_djvu.txt

https://www2.hu-berlin.de/djgb/public/en/find

https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=de&itemId=4130859&ind=2

https://digital.zlb.de/viewer/image/15849349_1908/1028/

Entschädigungsamt Berlin (Akte zu Lea Scherk, Entschädigungsantrag der Tochter Pauline)

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/

https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_ber_ot19.html

Davids, Sabine: „Großfamilie Scherk-Lebenswege“ https://www.stolpersteine-berlin.de/sites/default/files/stolpersteine/dateien/Familie%20Scherk-Lebenswege_SD.pdf

https://objekte.jmberlin.de/Suche?q=ludwig+scherk

http://tars-mann.de/heritage/

https://web.archive.org/web/20171107012247

http://www.heimatverein-steglitz.de/steg_heim/steglitzer_heimat_1_07.pdf, Kapitel „Scherk ist nicht mehr da“ S. 27

https://objekte.jmberlin.de/object/jmb-obj-417238;jsessionid=A0F3C55A5FBBE6E477A42ED006519465

https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/geschichte/stolpersteine/artikel.179731.php

Für Alfreds Schwägerin Margarete Scherk und ihre Tochter Toni liegen Stolpersteine vor der Aschaffenburger Straße 24 bzw. Niebuhrstraße 70.
An Ludwig und Alice Scherk erinnern Stolpersteine vor der Mozartstraße 10 in Lankwitz.